Dank für die Lebens- und Glaubensspur der heiligen Theresia - Teil 2

Sonntag, 17. Juli 2022

Weihbischof em. Dr. Johannes Kreidler
erschließt den "kleinen Weg" der heiligen Theresia
 

Weihbischof Dr. Johannes Kreidler erschließt beim Gottesdienst beim Besuch des Reliquienschreins der kleinen heiligen Theresia (10. Juni)  in seiner Predigt den "kleinen Weg" der Heiligen. Hier folgt der zweite Teil.

"Mit 15 Jahren wird sie Ordensfrau und macht sich auf die Suche nach ihrem ureigenen Weg, den sie den „kleinen Weg“ nennt: „Die Heiligkeit besteht“, so sagt sie, „nicht in dieser oder jener Übung. Sie besteht in einer Verfassung des Herzens, die uns klein und demütig macht in den Armen Gottes eingedenk unserer Schwachheit bis zur Kühnheit vertrauend auf seine Güte als Vater.“

Liebe Schwestern und Brüder! Im Evangelium heute hat Jesus ein Kind in die Mitte der Jünger gestellt und die Jünger mit dem provozierenden Satz konfrontiert: „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“

Der sogenannte kleine Weg der heiligen Therese vom Kinde Jesus hat nichts mit Infantilität zu tun. Das Bild vom Kindsein ist für Therese ein anderes: Sie sieht es im Bild des kleinen Kindes, das sich ganz und voller Vertrauen den Armen des göttlichen Vaters anvertraut. Argloses Vertrauen ist für sie der Inbegriff der christlichen Lebensberufung.

Kleinsein hat mit dem Boden der Realität zu tun

Liebe Schwestern und Brüder! Die von Therese häufig gebrauchten Begriffe „Kleinsein“ und „Demut“ wirken auf viele heute zwiespältig. Demut wird dann in Verbindung gebracht mit falscher Bescheidenheit oder einer Haltung, wo Menschen sich selbst erniedrigen und klein von sich denken. Doch das meint Demut nicht. Demut im Sinne des lateinischen Humilitas hat mit dem Humus, dem Boden der Realität unserer eigenen Person zu tun. Demütig sein bedeutet von daher: hinabzusteigen in die eigene Wirklichkeit, nicht abzuheben in wunderbare Illusionen und Idealvorstellungen von sich, sondern auf den Boden seiner Selbst zu kommen. Zu diesem Boden gehören unsere Schattenseiten, unsere Grenzen und Armseligkeiten, all das, was uns unangenehm ist und wir am liebsten vor uns und anderen verbergen würden.

Mut zum eigenen Maß

Demut ist letztlich die Einwilligung in das eigene Maß und der Mut zum eigenen Maß. Diesen Mut hat die heilige Therese aufgebracht. Sie ist nicht durch das nach außen Außergewöhnliche, das sofort ins Auge gesprungen wäre, aufgefallen. Noch kurz vor ihrem Tod sagte eine Mitschwester – und brachte damit die Meinung der meisten ihres Konvents zum Ausdruck-: „So liebenswürdig diese kleine Schwester auch ist, so hat sie doch sicherlich nie etwas Nennenswertes geleistet.“ – Gott aber denkt anders von Therese.

Das Gewöhnliche außergewöhnlich gut

In ihrem Kloster, in ihrem Alltag, an dem Ort, zu dem sie sich von Gott berufen wusste, tat Therese Gewöhnliches – auf außergewöhnliche Weise -, nämlich mit letzter Hingabe. Geben wir es ruhig zu: genau das fällt uns nicht leicht. Träumen wir nicht manchmal – oder ist das bei uns anders? – vom Gegenteil, vom großen Werk, vom Auffälligen, von etwas Besonderem, mit dem wir der Nachwelt in Erinnerung bleiben wollen? Die heilige Therese holt uns aus solchen Träumen auf den Boden, auf den Boden der Humilitas: Wir sollen im Laufe unseres Lebens das uns eigene Maß entwickeln und – hinzukommend – die innere Bereitschaft, uns genau darin, in unserem Maß, von Gott geliebt sein zu lassen. Welch schwer zu verwirklichendes, aber gleichzeitig so befreiendes Vermächtnis der heiligen Therese ist das: Glaubt daran, dass ihr im Leben eures eigenen und euch entsprechenden Maßes von Gott unendlich geliebt seid!

Thereses Leben zeigt aber auch, dass ein solcher Glaube an die Liebe Gottes und das Innewerden der eigenen Berufung zur Liebe keine bruchlose und unangefochtene Identität bedeuten. Therese musste schmerzhaft erfahren: Glaube geht nicht auf mit innerer Harmonie und immerwährendem Seelenfrieden. In ihren letzten Lebensjahren durchleidet sie eine lange, dunkle Nacht der Seele und des Glaubens. Ihr Glaube geht durch das Feuer großer Zweifel und großer Ängste.

Nullpunkt, an dem wir nichts mehr in der Hand haben

Ein geistlicher Schriftsteller sagt einmal sehr berührend: „Es gibt nichts Mächtigeres als die bedingungslos dem Herrn in die Hand gegebene Ohnmacht … Es meint die wirkliche Auslieferung, die genauso ernst gemeint ist wie die Auslieferung des Gekreuzigten an den Vater. Es meint das wirkliche Hintreten an jenen Nullpunkt, an dem wir gar nichts mehr in der Hand haben, aber gerade darum hat er alles – vielleicht anders, als wir dachten, aber gerade darum eben alles – in der der Hand.“

Wie ähnlich klingt dies aus Thereses eigener Feder: „Ich fühle meine Ohnmacht und ich bitte dich, o mein Gott, sei du selbst meine Heiligkeit.“ Therese spürt immer wieder die eigene Grenze, aber sie ahnt: die Grenze kann auch ein Weg sein. Auch das Bild vom Sich-anvertrauen den Armen des Vaters und der Hand des Vaters ist ihr geläufig, wenn sie schreibt: „Jesus gefällt es, mir den einzigen Weg zu zeigen, der zu diesem göttlichen Glutofen führt. Dieser Weg ist die Hingabe des kleinen Kindes, das angstlos in den Armen seines Vaters einschläft.“

Berufung der Liebe in der Tapferkeit bewahren

In ihrer letzten Lebensphase der Krankheit und der spirituellen Krise zeichnet sich Therese durch große Tapferkeit aus. Denn Leiden bedeutet für sie gerade nicht, selbstgewählte Askese auf sich zu nehmen, sondern eben das eine von Gott zugedachte Leben mit seinen eigenen Höhen und mit seinen eigenen Tiefen tapfer anzunehmen.

Liebe Schwestern und Brüder! Das Leben selbst stellt jeden und jede von uns immer wieder in diese Herausforderung: die Berufung zur Liebe in der Tapferkeit zu bewahren. Schön, wenn wir darin Vorbilder wie die heilige Therese haben und schön, wenn sie uns heute so berührend nahe kommt! Amen.